Praxisbericht aus der Grundschule


Wir schreiben unser Weihnachtsstück selbst

Erfahrung mit dem biografischen Theater in der Grundschule

 

Begeistert habe ich in Düsseldorf an dem Workshop von Maike Plath teilgenommen. Noch im Zug auf der Rückfahrt entwickelte ich eine Idee, wie man die Methode von Maike Plath in der Grundschule anwenden kann. Mir kam die Idee, dass ich die Kinder einen Gegenstand mitbringen lasse, den diese mit Weihnachten verbinden.

 

Ende November war es dann soweit. In einem Elternbrief informierte ich die Eltern meiner dritten Klasse über unser Vorhaben und bat darum, einen Gegenstand herauszusuchen, der zwar für die Kinder in der Weihnachtszeit enorm wichtig ist, aber gleichzeitig in diesem Jahr in der Vorweihnachtszeit im Klassenraum bleiben muss.

 

Am nächsten Tag hatten fast alle 28 Schülerinnen und Schüler etwas Weihnachtliches dabei. Ihre Aufgabe war nun entweder aufzuschreiben, was sie mit diesem Gegenstand verbinden, warum er ihnen wichtig ist oder sie durften sich eine Lügengeschichte zu dem Gegenstand auszudenken. Auf den Tischen der Kinder standen Glasengel, Nikolausstiefel, Weihnachtskugeln, Schneekugeln, Plastikweihnachtsbäume, Kerzen, Weihnachtsmänner, Kokosflocken, ein Tannenzweig, Tonfiguren usw.

 

Alle Kinder schrieben eine Geschichte auf. Über das Wochenende hatten sie Zeit, diese zu Hause zu Ende zu schreiben, zu überarbeiten oder evtl. sogar eine zweite Geschichte zu erfinden. Mein autistisches Kind diktierte mir eine haarsträubende Geschichte. Im Laufe des Vormittages war der Glasengel des Kindes kaputt gegangen. Ein Flügel war nicht mehr aufzufinden, und der Unterleib war aus der Verankerung gebrochen. Der Junge nahm diesen Umstand in seiner Geschichte auf und erzählte, wie der Glasengel von einem Meteoriten getroffen wurde und sich auf die Suche, nach seinen Körperteilen machen musste. Aus diesem Grund musste er seinen Besitzer in Stich lassen und konnte seine Arbeit als Glücksengel vorübergehend nicht mehr nachgehen. Auf seinem Weg begegnete der Engel einer Krake (dieses Kuscheltier befand sich im Schulranzen des Schülers).

 

Nach dem Wochenende bekam ich die Geschichten von den Kindern, die ich mir zu Hause durchlas. Es gab spannende und weniger spannende Geschichten. Ich stellte 7 Gruppen zusammen. In jeder Gruppe gab es mindestens eine herausragende Geschichte, eine ziemlich interessante Geschichte, eine mittelmäßige Geschichte und eine eher langweilige Geschichte. Die Kinder mussten sich in der Gruppe für eine Geschichte entscheiden, die sie auf der Bühne gerne sehen wollten. Diese 7 Geschichten wurden dann im Plenum vorgelesen. Jedes Kind hatte dann 4 Steine zu vergeben. Die Geschichten mit den meisten Stimmen waren die Geschichten, mit denen wir uns in den nächsten drei Wochen intensiv beschäftigen wollten.

 

In den nächsten drei Tagen ging ich mit der Klasse in unseren Bewegungsraum, wo ich nach und nach 30 Karten aus dem Methoden-Repertoire für Darstellendes Spiel und Theaterunterricht von Maike Plath aus dem Beltz Verlag einführte. Ich hatte mir im Vorfeld Karten ausgesucht, die für Grundschulkinder leicht verständlich sind und die mir für unsere Inszenierung wichtig erschienen.

 

So musste ich in den nachfolgenden Stunden nicht lange erklären, was mit den theaterästhetischen Mitteln „chorisches Sprechen“, „Freeze“, „Diagonale“ etc. gemeint ist, außerdem war die Arbeit mit den Karten ein schönes Aufwärmspiel am Anfang der kommenden Unterrichtsstunden.

 

Ich hatte mir mit einer Kollegin einen Zeitrahmen von insgesamt drei Wochen mit 4-5 Wochenstunden gesteckt. Wir hatten also nicht viel Zeit, um die Kinder lange experimentieren zu lassen. Wir machten ein Brainstorming zu den einzelnen Geschichten. Mit den Ideen der Kinder ging ich nach Hause. Ich fügte den Geschichten einen Erzähler und einem kommentierenden Chor hinzu.

 

Meine Idee war, dass alle Kinder im Hintergrund auf der Bühne sitzen. Die Konzentration sollte dadurch hochgehalten werden, dass die Kinder chorisch kommentieren, was auf der Bühne gerade passiert. Wenn ein Haus, ein Bett, ein Vogel oder ähnliches gebraucht wurde, löste sich ein Kind aus dem Chor, übernahm für einen kurzen Moment diese Rolle und ging, sobald es nicht mehr gebraucht wurde, zum Chor zurück.

 

Die Geschichtenschreiber bekamen das Privileg aussuchen zu dürfen, wer welche Rolle in ihrem Stück spielen darf. Sie selbst konnten entscheiden, ob sie selbst der Erzähler sein wollten, die Hauptfigur oder eine Nebenrolle. Dadurch fühlten die Kinder sich sehr ernst genommen und waren in den ganzen drei Wochen sehr konzentriert. Zu Hause erzählten sie ihren Eltern, dass ihnen das Proben sehr viel Spaß mache, da es sich um ihre eigenen Geschichten handelt, die sie selbst geschrieben und selbst besetzt hätten.

 

Die Geschichten, die nicht ausgesucht wurden, wollte ich trotzdem würdigen. Diese Kinder bekamen die Aufgabe, ihre Geschichte auswendig zu lernen, bzw. so zu lernen, dass sie diese jemand anderem aus dem Kopf erzählen könnten. So startete das Stück damit, dass die Kinder durch den Raum mit ihrem Gegenstand gingen, sich zu einer Person aus dem Publikum setzten und diesem die erfundene Geschichte erzählten. Um das zu üben bat ich die Kinder einer ersten Klasse an einer Probe teilzunehmen und sich Geschichten erzählen zu lassen. Die Erstklässler gaben meiner Klasse Rückmeldung, was diese noch verbessern könnten.

 

Spannend fand ich, mit welcher Ruhe die Proben stattfanden. Es gab kaum Texthänger, selbst der Chor vergaß nie seinen Text, da immer irgendeiner gerade wusste, was jetzt kommt und auch schwächere Kinder einfach mitsprechen konnten.

 

Am letzten Schultag präsentierte meine Klasse dann in einer feierlichen Stunde der Schule diese Eigenproduktion. Die Kinder bekamen sehr viel Beifall.

 

Wer neugierig geworden ist: Einen Ausschnitt der Produktion kann man auf You Tube sehen (leider schlechte Tonqualität) 

 

Sabine Köckeritz